5. Juli 2011. Mein 65. Geburtstag. Nach einem letzten Apero mit den Mitarbeitern der Waldabteilung 8 in Tavannes verlasse ich am Mittag endgültig meinen Arbeitsplatz.
Um vier Uhr nehme ich meinen Rucksack, beladen mit dem Nötigsten, das ich sorgfältig erlesen und wärend eines Jahres getestet habe. Ich ziehe die Tür des Hauses in La Neuveville zu, das letzte Mal für ein halbes Jahr.
Aber schon um sechs Uhr mache ich Halt im Clubhouse des Bootsclub in Erlach um meinen Geburtstag, meine Pensionierung und mein Abschied zu feiern. Eingeladen habe ich Freunde aus allen meinen Lebensepochen.
Und um Mitternacht nehme ich meinen Sack zum zweiten Mal, sage auf Wiedersehen und verschwinde im Dunkel der Nacht, zu Fuss Richtung Ende der Welt. Eine Fackel erhellt mir den Weg.
Und ich komme voran, Schritt um Schritt, auf meinem Weg über Bellegarde - Grenoble - Avignon - Marseille - Perpignan - Figueras - Barcelona - Tortosa - Teruel - Guadalajara - San Lorenzo del Escorial - Toledo - Alcaraz - Almeria - Granada - Ronda - Tarifa - Cadiz wo ich für die Kanarischen Inseln einschiffe. Von Insel zu Insel erreiche ich im Januar die Kleinste ganz im Westen: El Hierro mit dem Leuchtturm Orchilla: das Ende der Welt.
Warum? Warum etwas unternehmen, das nicht ganz ohne Risiko ist, gespickt mit Überraschungen und Unannehmlichkeiten? Und das im Moment wo die Pensionierung ansteht, der wohlverdiente Ruhestand?
Eigentlich weiss ich das selber nicht so recht. An einem Tag war die Idee da, einfach so. Hat mir Hans mit seiner Fussreise nach Paris die Idee gegeben oder Henri mit seiner Durchquerung der Schweiz?
Jedenfalls wagte ich zu Beginn nicht davon zu sprechen. Schon gar nicht mit meiner Gattin Doris. Aber eigentlich glaubte ich selber nicht daran. Die Kanarischen Inseln zu Fuss? 6 Monate unterwegs? Schon etwas verrückt, oder nicht?
Wenn ich zu Beginn nicht wusste warum so ist heute alles klarer: Nach einem geregelten Leben, wo die Entscheidungen in erster Linie von den "Andern" und der "Gesellschaft" getroffen wurden hatte ich nun die Gelegenheit selber zu tun und lassen was ich wollte. Mir selber ein ungewöhnliches Ziel zu setzen und dahin zu gehen. Allein, ohne Verantwortung für jemanden, nur für mich.
Und alles hinter mir lassen: die Arbeit notgedrungen, meine Stadt, mein See, meine Lüfte, meine Vergnügungen, mein Komfort, meine Freunde, meine Familie, meine Gattin (mit ihrem Einverständnis, immerhin!)
Und all das einzutauschen gegen ein einfaches Leben, wo es nur noch um Grundsätzliches geht: wo durchgehen, sich Essen zu beschaffen, wo schlafen. Und marschieren, marschieren, marschieren...das lüftet den Kopf.
Und dieses Nomadenleben gefällt mir gut. Ich lebe in den Tag, gehe auf den kaum noch aufzufindenden Wegen der Alten (sogar Römerstrassen!), ich brauche die unkenntlich gewordenen Viehwege und komme mit den Störchen aus ganz Europa in Algeciras an (heute Morgen wurde ich in meinem Zelt durch das Klappern von hunderten von Störchen geweckt, die auf einem Feld ihre letzte Rast vor Afrika machten; wunderschön!).
Nach diesem einmaligen Abenteuer kann ich getrost meinen neuen Lebensabschnitt beginnen. Ohne Verpflichtungen, frei für Neues, ohne Angst vor der grossen Leere.
Für jene, die an meiner Reise noch teilhaben möchten (obwohl sie ja schon bald zu Ende ist) schreibe ich einen Blog, führe eine Karte und mache ein Photoalbum auf der Internetseite www.bessire.ch/nicolas/nicolas.html
Que le vaya bien y hasta pronto
Nicolas Bessire